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Hörnchen von Aldi
Es gibt Leute, die leinen ihre Hunde vor Geschäften an und bedienen seelenruhig ihren Kaufzwang. Meinen Hund vor einem Geschäft anzuleinen, war etwas, was mir nie in den Sinn gekommen wäre.
Gut, hätte ich so eine Töle, die einen Menschen bereits auf 20 Meter Entfernung als Feind identifiziert und dann das ganze Programm von Knurren bis Zähnefletschen abspielt, würde ich über das Anbinden vor Geschäften anders denken. So ein Hund steht nie in der Gefahr, von fremden Personen oder professionellen Hundefängern zur Mitgehen aufgefordert zu werden. Aber mein Hund ist lieb. Er ist so lieb, das jeder Mensch von ihm freundlich angewedelt wird. Folgt daraufhin ein nettes Wort des Menschen, wackelt bereits der halbe Hund vor Begeisterung über die Ansprache. Geht der Mensch dann so weit sich ein wenig herabzubeugen, bringt der Hund sich schier um vor Entzücken und ist bereit dieser netten Person überallhin zu folgen. So ist mein Hund und ich bin keineswegs davon begeistert. Zwar schätze ich sein gutes Wesen, aber ich empfinde auch immer so etwas wie Verrat an unserer Lebensgemeinschaft. Schließlich bin ich es, die das Geld fürs Futter anschafft.
An dem Tag, von dem hier die Rede sein soll, war es heiß. Eigent---lich wollte ich in der Mittagspause wie immer mit dem Hund meinen Rundgang machen. Einmal um den Weiher, vielleicht Sam treffen, seinen Hundekumpel und mit dem guten Gewissen des Hundebesitzers, der wieder einmal alles für das Wohlergehen seines Tieres getan hat, mich zurück an meinen Schreibtisch begeben. So wäre es gewesen, hätte nicht am Abend vorher meine Mutter angerufen.
"Was machst du gerade?"
"Ich suche den Mozarella."
Das Mobilteil zwischen Ohr und Schulter gequetscht fahndete ich im Chaos meines Kühlschranks nach dem letzten Tütchen Mozarella. Ich war mir sicher, daß es sich Richtung Nord-Ost irgendwo hinter den Dosen Hundefutter versteckt hielt.
"Es gibt die Hörnchen wieder", sagte sie.
"Welche Hörnchen?"
Meine Hand hatte den Mozarella ertastet und ich versuchte
ihn über die Dosen hinweg nach draußen zu befördern. Zwei Dosen fielen heraus, aber nur eine erwischte meinen nackten Fuß.
So was nenne ich Glück. Der Hund war geflüchtet. Er mag es nicht, wenn ich mit seinem Futter spiele. Mein Fuß tat höllisch weh, aber ich gab keinen Pieps von mir. Der Hund mag auch kein Geschrei.
Die Stimme aus dem Mobilteil fragte mich, ob ich den Mozarella gefunden hätte.
"Ja Mama, ich rufe Dich zurück, sobald mein Fuß abgeschwollen ist".
Nachdem ich das Ding, das einmal ein hübscher schlanker Fuß gewesen war, in einem Eimer kalten Wassers versenkt hatte und es dort etwa 15 Minuten zur Ruhe kommen ließ, war der Schmerz einigermaßen auszuhalten, aber es hatte eine ungesunde Farbe.
Auf den Mozarella hatte ich keine Lust mehr. Was ich brauchte war eine abschwellende Salbe. Ich humpelte ins Bad und durchsuchte meinen Erste-Hilfe-Kasten. Was ich fand waren Augentropfen für Hunde, eine Tinktur zum Desinfizieren von Bißwunden, ein Antiflohspray, eine Packung mit Tabletten zur Bekämpfung von Bandwürmern und eine Salbe zum Auftragen auf die Ballen vor Spaziergängen im Schnee.
Ich entschied mich für die Ballensalbe und rieb meinen Fuß vorsichtig damit ein. Danach rief ich meine Mutter an.
"Hast Du was gegessen?", fragte meine Mutter, die fest davon überzeugt ist, dass Essen Leib und Seele zusammen hält.
"Ja", log ich und überlegte, ob ich bequeme breite Schuhe
besaß.
"Gut. Du mußt wenigstens abends was essen, wenn du schon mittags wegen dem Hund nicht dazu kommst. Meine Meinung kennst Du. Ich finde es übertrieben wegen einem Tier die eigene Gesundheit zu vernachlässigen. Wenn Du vor Erschöpfung stirbst, hat der Hund auch nichts davon. Dann muß er ins Tierheim."
Sie hatte ja recht, aber auf keinen Fall würde ich das zugeben.
Und niemals käme der Hund ins Tierheim. Nur über meine Leiche.
"Schon gut Mama, ich esse ja. Hast Du deswegen angerufen?"
"Nein. Es geht um die Hörnchen, die für den Nacken. Aldi hat sie wieder im Angebot."
Mamas Nackenhörnchen. Der Hund hatte bei seinem letzten Rundgang durch das Schlafzimmer meiner Eltern seine Leidenschaft für diese Entspannungskissen entdeckt, die wie riesige Vanillekipferln auf den Kopfkissen meiner Eltern thronten. Der Hund liebt Textiles. Er schüttelt gern Putzlappen tot oder kleinere Kissen. Und wenn gar nichts anderes in seiner Reichweite ist, gibt er sich auch schon mal mit einer Socke oder einem BH von mir zufrieden, Auch ein hölzernes Fußbänkchen, das meine Mutter auf irgendeinem Flohmarkt erstanden hatte, wurde einmal fast tot geschüttelt, nur weil es mit samtigen Plüsch bezogen war. Das größte aber waren die Nackenhörnchen.
Auch ich war von den Dingern begeistert. Ihre angenehme Wirkung auf verspannte Nackenmuskeln hatte ich am eigenen Körper erlebt, als ich bei Mama übernachtete und sie mir ein Hörnchen unter den Nacken schob, um es vor dem Hund zu verstecken. In dieser Nacht schlief ich prächtig.
Als ich am nächsten Morgen meine Mutter befragte, woher sie diese Wunderkissen hätte, antwortete die berüchtigte Schnäppchen-jägerin: von Aldi.
Also humpelte ich an diesem besagten heißen Sommertag in meiner Mittagspause schnell mit dem Hund um den Block, damit er wenigstens die Schlagzeilen der Tagesnachrichten lesen konnte. Für Hunde ist Schnüffeln wie Zeitunglesen für uns Menschen. Sie erfahren eine Menge darüber, wer im Viertel gerade das Sagen hat, wer in wen verliebt ist, wer gestern kastriert wurde und so weiter. Mein Hund nahm sich viel Zeit, die wir nicht hatten, und studierte die unsichtbaren Botschaften auf Grashalmen, Blättern und Hauseingängen, während ich schwitzend daneben stand. Danach leistete er seinen Beitrag zu den Hundeklatschspalten und gab tröpfenweise Kommentare ab. Nachdem alles gesagt war, setzten wir uns ins Auto und kämpften uns in der Mittagshitze durch die Innenstadt zu einer Aldi-Filiale Ich hatte bewußt die am weitesten entfernt liegende gewählt, weil nur dort einer großer Kundenparkplatz direkt vor dem Geschäft die Leute einlädt, mehr zu kaufen, als sie eigentlich wollen. Schließlich muß man´s ja nicht schleppen.
Nachdem ich mein Schlachtschiff (ein Kombi versteht sich, damit der Hund genügend Platz hat) eingeparkt hatte, fiel mir siedend heiß ein, dass ich den Hund unmöglich im Auto lassen konnte. Er wäre bereits erbärmlich zugrunde gegangen, noch bevor ich die dreißigste in der Schlange vor der einzig geöffneten Kasse sein würde.
Die Fenster ein wenig runter zu kurbeln war auch gefährlich. Hundefänger könnten durch den Spalt schlüpfen (ich weiß nicht, ob Sie schon bemerkt haben, dass alle Hundefänger schmal gebaut sind und problemlos durch einen Fensterspalt passen), sich meinen Hund schnappen, um ihn an das meistbietende Versuchslabor zu verscherbeln, wo man ihn mit besonders gefährlichen Tumorzellen impfen würde, um zu studieren, wie qualvoll er daran stirbt.
Was blieb mir also übrig, als den Hund vor Aldi anzuleinen. Vor Hundefängern war er zwar auch hier nicht gefeit, aber Frauchen ist ja nicht dumm. Ich bat einen, der die Pennerzeitschrift "fifty-fifty" verkauft, ein Auge auf ihn zu haben. Er versprach es, nachdem ich die halbe August-Auflage der Zeitung gekauft hatte und noch ein großzügiges Trinkgeld oben drauf legte. Vorher hängte ich dem Hund noch ein Pappschild um den Hals (ich pflege stets etwas Pappe und einen dicken Filzschreiber dabei zu haben), dessen eindeutige Botschaft "Ich habe Läuse" hoffentlich das Schlimmste verhindern würde. Ich warf ihm einen letzten Blick zu, meinem Hund, der an einen Fahrradständer angekettet neben dem Zeitungsverkäufer saß, hechelte und und tapfer sein Schild den Passanten präsentierte. Dann riß ich mich los und stürzte mit Tränen in den Augen in die Filiale. Jetzt mußte alles sehr schnell gehen.
(Fortsetzung folgt)
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