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23.05.02 -- Siggi Kuipers

Tierschutz als Menschenrecht














Tierschutz als Menschenrecht

http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/artikel4394.php
Wem soll die Änderung der Verfassung zugute kommen?



Plötzlich versteht man die Aufregung nicht mehr, die Verbissenheit, mit der
seit Jahren über die Aufnahme des Tierschutzes in die Verfassung gestritten
wurde. Denn zumindest im Bundestag, der eben mit überwältigender Mehrheit
das Grundgesetz zugunsten der Tiere geändert hat, schien es keine Parteien
mehr zu geben, nurmehr Tierschützer. Uneins ist man sich allerdings in den
Medien darüber, was diese große Einigkeit herbeigeführt hat, und Streit wird
in Zukunft über die Auslegung und die Auswirkungen der neuen Rechtslage
herrschen.

Tatsächlich sind die Gründe für die alten Kontroversen nicht aus der Welt,
schon weil der Tierschutz sehr disparate Interessen zu berücksichtigen hat.
Es gibt die Haustiere, die von den Hunde-, Katzen- und Zierfischliebhabern
geschätzt und gehegt werden und wenig gefährdet sind, es gibt die Tiere der
Viehzucht, von denen man das saftige Steak und das Fell haben möchte, und es
gibt jene, die man für die Forschung "nutzen" will. Und natürlich fangen die
Probleme primär da an, wo Tiere als Mittel "höheren" Zwecken unterworfen
werden. Dass es Widerstände speziell der Union gegen die Verankerung des
Tierschutzes im Grundgesetz gab, lag wohl vor allem am Forschungsstandort
Deutschland. In der Tat sind trotz aller alternativen Methoden Tierversuche
für wissenschaftliche Erkenntnisse vielfach unvermeidlich, und eine
verfassungsrechtliche Aufwertung des Tierschutzes untergräbt natürlich den
Primat der ebenfalls im Grundgesetz - ohne Schranken - gewährten
Wissenschaftsfreiheit.

Nicht zufällig wehrten sich deshalb die Forschungsgesellschaften bis zuletzt
vehement gegen die Verfassungsänderung. Doch auch die Union hat beigedreht.
Vielleicht in der Meinung, dass der Tierschutz populär sei und somit Stimmen
bringe. Einen Schub hat sicher auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
vom Januar gebracht, in dem das höchste deutsche Gericht das Schächten nach
islamischen Recht für zulässig erklärt hatte. Sowohl die Glaubensfreiheit
als auch die Berufsfreiheit der muslimischen Metzger erhielten Vorrang vor
den Belangen des Tierschutzes.

Die Karlsruher Entscheidung hatte einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, der
offenbar viele Bedenken beiseite wehte. Wenn aber tatsächlich das
Schächturteil Auslöser war, muss man sich eingestehen, dass die Liebe zu den
Vierbeinern jetzt zur Beschränkung eben jener Freiheitsrechte führt, die das
Verfassungsgericht mit seinem Urteil stärken wollte. Und damit haben gerade
die Grünen, deren Anliegen der Tierschutz seit je war, mit ihrem Erfolg
zugleich die Einschränkung von Minderheitenrechten betrieben - für die sie
sich ehedem ebenfalls starkmachten. Einen Tod muss offensichtlich jeder
sterben, nicht nur das Schlachtvieh.

Denker und Laien

Die Neuformulierung ist rechtstheoretisch interessant und könnte sich als
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Verfassungsjuristen entpuppen. Im
Grundgesetz verankert wurde der Tierschutz als Staatsziel neben dem
Umweltschutz in Artikel 20a. Der CDU-Verfassungsexperte Rupert Scholz hat
aus dieser Zuordnung einen weiteren, völlig neuen Aspekt abgeleitet: Der
Schutz der Tiere ist Fremdkörper in einer Verfassung, welche auf die Rechte
des Menschen ausgerichtet, also anthropozentrisch ist.

Nun werden in Artikel 20a drei kleine Worte eingefügt: "und die Tiere".
Liegt hierin wirklich eine Neuausrichtung? Die Einfügung erfolgt hinter der
Formulierung "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen
Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen." Damit ist der Rechts-Streit
vorprogrammiert: Soll hier tatsächlich, wie es Scholz vermutet, ein vom
Menschen losgelöstes Recht der Tiere geschaffen werden, da auch die
Gesetzesbegründung vom ethischen Tierschutz spricht? Oder aber nur ein
rechtlicher Reflex von Menschenrechten ("humaner Umgang" mit der Kreatur als
Konsequenz menschlicher Würde)? Der Bezug zu den Lebensgrundlagen und den
zukünftigen Generationen legt diesen zweiten Schluss nahe.

Diese Alternative wird entscheidend sein bei der Abwägung des Tierschutzes
mit Religions-, Wissenschafts-, Berufsfreiheit und anderen
"Menschen"-rechten - ein Ausdruck, der folglich eine neue Bedeutung erlangen
dürfte. Erkannt haben dies die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die
Helmholtz- Gemeinschaft und die Max-Planck-Gesellschaft, die zur
Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit zuletzt in einer gemeinsamen
Stellungnahme für die Formulierung "einschließlich der Tiere" plädierten.
"Und" oder "einschließlich" - die juristischen Wortklauber scheinen die
Oberhand zu gewinnen. Doch die Forschungsgesellschaften, auch wenn sie sich
nicht durchsetzen konnten, waren klug beraten. "Einschließlich" hätte die
Tiere den Lebensgrundlagen und damit als "Grundlage" dem Menschen
untergeordnet. Nun ist mit dem "und" alles wieder offen.

Den kommenden Streit kann man schon jetzt nachlesen, in Musils "Mann ohne
Eigenschaften", in dem Ulrichs Vater an seinen Sohn schreibt: "Das ist es
doch gerade, was den Denker vom Laien abhebt, dass er ein Oder
unterscheidet, wo dieser einfach ein Und setzt." Oder ein "einschließlich".

RAINER

ERLINGER



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