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Moin, Steffi!
Erstmal nehme ich erfreut zur Kenntnis, daß Du ganz norddeutsch mit »Moin« grüßt. Das schafft doch gleich Verbundenheit.
Um dann schon den Schluß Deiner sozialpolitischen Betrachtung zu kommentieren möchte ich anmerken, daß ich auch der Meinung bin, daß man sich mit großeren Zusammenhängen und gesellschaftlichen Strömungen befassen muß, wenn man die Hundeproblematik erstmal verstehen, und dann zum Positiven ändern will. In diesem Zusammenhang finde ich Beiträge wie Deinen einen wünschenswerten Diskussionsansatz, auch wenn der nicht direkt mit Hunden zu tun hat. Oder wurden bei der Rosenmontagkeilerei in der Kneipe etwa die Menschen von einem Hund gebissen?
Nach meinen Kenntnissen der Jugendkultur in der Provinz ist Deine Beschreibung der Zustände aber eher traditionell als amerikanisch modern. Zünftige Randale in der Kneipe, Disko, beim Schützenfest etc. gibt es doch schon seit Generationen. Ein neuer Aspekt ist sicher, daß ein Fest wie Halloween, welches keine deutschen Wurzeln hat, plötzlich so flächendeckend gefeiert wird. Hier haben die Antreiber der Event-Kultur ohne Zweifel Großes geleistet. Wenn Du ausdrücken wolltest, daß nur die Intensität/Brutalität zugenommen hat ist das etwas anderes. Da kann ich mir kein Urteil erlauben.
Allerdings stimmt es allgemein gesellschaftlich betrachtet sicher, daß besonders die Verteilungskämpfe um materiellen und sozialen Status unter den Kindern und Jugendlichen zugenommen haben, da sich trotz größer werdender materieller Differenzen die in sich geordneten sozialen Schichten, die früher die entsprechend Zugehörigen weitgehend von einander getrennt haben, kaum mehr existieren. Fast jeder kann oberflächlich den Anschein von Lifestyle und Wohlstand vermitteln, da die Möglichkeiten der Prioritätensetzung beim Einsatz der Geldmittel enorm, und die Verfügbarkeiten genau auf solche Bedürnisse ausgerichteter Billigprodukte unüberschaubar groß sind.
Dieser Hang zum Schein statt Sein hat nach meiner Ansicht seine wesentliche Ursache darin, daß es nicht einen einzigen konsensfähigen Wert gibt, den Erziehung und Schule unbestritten vermitteln können. In dieses Vakuum der Desorientierung stoßen zielsicher die Medien mit Ihren Angeboten ohne jede Vorleistung mehr oder weniger große Aufmerksamkeit, Berühmtheit und Bedeutung zu erlangen. Es genügt um jeden Preis aufzufallen. Es ist sicher grob vereinfachend, aber trotzdem auffällig, daß auf der einen Seite Ausbildungsplätze in klassischen Berufen nicht besetzt werden können. Auf der anderen Seite aber trotz der Tatsache, daß Woche für Woche Hunderte von Menschen durch die Funk- und Fernsehshows geschleust werden, die Castings vollkommen überlaufen sind. Es scheint nur die Alternativen für die Mehrzahl der jungen Menschen zu geben: weder erfolgreich im Showgeschäft, im Profisport, oder erbe leise.
Das Nachhinken der Freizeit- und Unterhaltungsinhalte hinter amerikanischen Vorgaben ist in diesem Zusammenhang auch so neu nicht. Seit die US-amerikanische Kultur Anfang der 70er die Dominanz in Europa erreichte geht das doch - mit wenigen Unterbrechungen durch europäische Einflüsse - schon so. Es gibt zwischen den USA und Deutschland aus meiner Perspektive nur einen entscheidenden Unterschied: die amerikanische Gesellschaft basiert insgesamt, aber auch in den ethologischen Gruppen auf gewissen traditionellen Werten (Stolz auf das Vaterland, militärische Stärke; Dominanz im Sport; Bedeutung von Währung und Sprache; Stolz auf Demokratie und Meinungsfreiheit, die aus eigener Kraft entstanden; etc.), die über die Generationen fortgesetzt anerkannt werden, während in Deutschland ALLE traditionellen Werte durch die Umwälzungen nach WK II und der 68er-Revolte in Frage gestellt wurden. Ich bin ganz bestimmt einer, der dies zum überwiegenden Teil sehr begrüßt. Ich sehe aber inzwischen ein Riesenproblem darin, daß die hinweg gefegten Werte und gesellschaftlichen Ziele durch nichts allgemein Anerkanntes ersetzt wurden.
In der jüngsten Vergangenheit wurde eine der letzten deutschen Besonderheiten, mit der ich wirklich zufrieden war, und die zu schützen mir etwas Wert gewesen wäre, ausgerechnet von der Regierung aus SPD und Grünen (wenn Grün vergeht, wird es braun, oder?) aufgegeben: der kategorische Pazifismus. Von deutschem Boden sollte nie wieder Krieg ausgehen. Und dann hat man wegen Bündnispflichten einem Angriffskrieg auf Jugoslawien, der völkerrechtlich nicht authorisiert war, zugestimmt und Truppen in Marsch gesetzt. Das war niederschmetternd! Wie gründlich man da in geiferndem Gehorsam den eigenen Verstand ausgeschaltet hat sieht man an dem jüngst an die Öffentlichkeit gelangten Skandal um uranhaltige Munition, die schon im Golfkonflikt Tausenden von GIs, und wer-weiß-wie-vielen Einwohnern vor Ort mittelbar das Leben gekostet hat.
Um auf die aktuellen gesellschaftlichen Probleme in D. zurück zu kommen: Identität und Perspektive, die sich nicht aus Werten nährt, scheint sich bei uns mehr und mehr nur durch Abgrenzung von anderen heraus zu bilden. Wenn Hundebesitzer großer Rassen als gewaltbereite Asoziale gebrandmarkt werden können richtet man sich als Nicht- oder Kleinhundebesitzer daran auf, daß man nicht so ist. Diese Stigmatisierung bestimmter anderer Gruppen ist so oft erfolglos, weil man sich durch kleine Änderungen der Lebensgewohnheiten, des Outfits o. ä. einer solchen auffälligen Gruppenzugehörigkeit entziehen kann, wenn man will. Wer kann in der Öffentlichkeit sicher einen Juden erkennen? Oder einen gewaltbereiten Fußballfan, wenn er sich zivil kleidet? Oder wer erkennt einen Skinhead, wenn der eine Mütze aufsetzt, und die Springerstiefel in der Tasche mit sich trägt? Mit Hunden ist das anders: man will und muß mit ihnen in die Öffentlichkeit und kann so zweifelsfrei zugeordnet werden. Das macht das (Vor-)Verurteilen leicht!
Das Problem der Medienherrschaft und »Lautstärke« der geäußerten Meinungen halte ich für weniger bedeutend, sorgt es doch nach meiner Einschätzung zwar für Aufregung, nicht aber für fortdauernde Meinungsbildung. Die Meldungen der Krawalltageszeitung mit den wenigen Worten und großen Lettern hätten noch keine Hundehatz in Gang setzen können. Erst dadurch, daß sich auch »Süddeutsche«, »SPIEGEL«, die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fersehmedien, und viele andere mit mehr oder weniger einhelligen Aussagen dem Thema annahmen ist eine von den Regierungen aufgenommene Bewegung daraus geworden. Zusätzlich fördert die in Betroffenkreisen weit verbreitete Meinung, daß es wie bisher nicht bleiben sollte, die rasche Entwicklung. Enttäuschend ist und bleibt für mich, daß sich im gesellschaftspolitischen Bereich erfahrene Organisationen wie der »Tierschutzbund« u. ä. nicht irgendwann über die Konsequenzen der Entwicklung klar waren und 100-prozentigen Gegenpositionen bezogen haben, so wie daß alle Lobbyisten in anderen Fälle auch entgegen anderer interner Überzeugungen und Kompromißlinien machen. Ich finde es erschreckend, daß ich die bisher nur als macht- und pfründegeile Mitregiererpartei mit den 3 Punkten bei diesem Thema als einzige Vertreterin meiner - unserer Interessen anerkennen muß.
Durch den Bundesratsbeschluß, der die grundgesetzlich verankerte Unverletzlichkeit der Wohnung aufhebt ist für mich ein Punkt erreicht, bei dem meine Toleranzgrenze überschritten ist, obwohl ich nicht direkt Auswirkungen dieser Gesetzesänderung zu fürchten haben muß. Ich will mich dagegen wenden und diesen unverhältnismäßigen Wahnsinn ungeschehen machen lassen. Ich werde daher jedes mögliche Rechtsmittel dagegen unterstützen und versuchen, Aufklärung zu betreiben. Es wäre ja immerhin etwas, wenn dieser radikale Schritt eine Solidarisierung der Betroffenen in Gang setzen könnte.
In diesem Sinne wünsche ich mir weitere Infos und gutes Zusammenwirken aus dem Forum heraus.
Gruß, Volker B.
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