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15.11.00 -- Andrea Höger

RE: Soll ich mit meinem Rottweiler Schutzdienst machen?














Hallo Sören,

es gehört ja ein bisschen mehr dazu, den Hund durch Beutespiele auf den Mann zu dressieren. Da wirfst Du glaube ich etwas durcheinander und globalisiert die Thematik.

Um meine Aussage hier klarzustellen ein Auszug aus einem Buch zur Verhaltensforschung zum Wesen des Hundes (durch wissenschaftliche Forschung bewiesen):

Aggressives, defensives und destruktives Verhalten bei Hunden

Um unerwünscht aggressives Verhalten des Hundes zu verhindern, muß man es zunächst als eine natürliche und zielgerichtete Aktion verstehen, die sich normalerweise auch auf natürlichem Wege begrenzt. Aggression äußert sich zwar als Angriff oder Kampf und Verteidigung, entsteht aber nicht immer aufgrund aversiver Empfindungen.
Aggressive Handlungen gehören zu verschiedenen Lebensbereichen und werden dort durch jeweils typische Anlässe ausgelöst; die Reaktion erfolgt, weil sich das Tier entweder von etwas bedroht (d. h. abgestoßen) fühlt und sich aversiv verteidigt, oder weil es von etwas angezogen wird, das es verfolgt, um es zu ergreifen:

1. Beuteverhalten: Erkunden, Jagen, Töten, Fressen

2. Verteidigung der Ordnung (Rudel) nach außen: Verteidigung des Lebensraumes (Revier, Territorium), Jungen- oder Selbstverteidigung

3. Verteidigung der Ordnung (Rudel) nach innen: Spielerische bzw. ernste Rangauseinandersetzungen in der Gruppe (agonistisches Verhalten)

So gesehen, ist das sogenannte aggressive Verhalten ein ausschlaggebendes ELEMENT in schlechthin allen, die Lebensbewältigung betreffenden Verhaltensweisen, ist nicht aber "das" Verhalten selbst.
Bei Züchtung und Ausbildung des Hundes werden die den einzelnen Bereichen zugehörigen Verhaltensweisen gezielt gefördert oder vermindert. Unter Jagdthunden ist das Spektrum groß und reicht vom sanften, fügsamen Hund (kann das Wild nicht berühren), bis zu raubzeugscharfen, beiß- u. tötungsfreudigen Rassen. Bei einigen Rassen (z. B. Meutehunde) ist das Verteidigungsverhalten (aversive Haltung) gering bis gar nicht ausgeprägt; ein "raubzeugscharfer" Hund ist nicht unbedingt auch "mannscharf".

Die zur Gruppe 2 gehörigen Verhaltensweisen werden besonders bei Schutz- und Wachhunden gefördert. Diese haben eine wesentliche empfindlichere Nähe-Toleranz; sie fühlen sich und ihr Territorium leicht bedorht, ihre aversive Stimmungslage führt zur Selbst- und Territoriumsverteidigung, was den Besitzer des Hundes, "als wär's ein Stück von mir", meist mit einschließt. Unsinnigerweise (weil auch bei weniger verteidigungsbereiten Hunden wirkungsvoll), wird bei mancher Ausbildung die Beutemotivation durch Ringhetze und bewegte Beißobjekte angeregt; der Scheintäter wird folglich nicht wehrhaft abgewiesen, sondern als Beute behandelt. Wenn schon der Mensch dies offentsichtlich gedanklich nicht trennen kann, wieviel weniger ist dies vom Hund zu erwarten!

Alle Fähigkeiten des Hundes können nur auf der Grundlage der Verhaltensweisen der Gruppe 3 entfalten. Hier entsteht die charakterliche Grundlage des Hundes: Verstand, Einsichtsvermögen, Umweltverständnis, Selbstsicherheit; seine verschiedenen Formen der "Aggression" und seine Fähigkeit, sie diszipliniert einzusetzen.
Jede Form von aggressiven Verhalten geht GRUNDSÄTZLICH ein Lernprozess voraus. Nur die Veranlagung und eine mehr oder weniger große Aktivität sind "angeboren", erst die Lebensverhältnisse entscheiden über die Entwicklung, die daher voll in den Verantwortungsbereich des Menschen gehört.
Typische Anzeichen, dass beim Hund bestimmte Lernprozesse eingesetzt haben, treten schon sehr früh im Leben auf. Man nimmt zunächst einen Welpen nicht ernst, der besonders aggressiv anderen Welpen, dem Züchter oder dem Besitzer gegenüber ist. Erwiesenermaßen wird die Neigung zu kämpfen und anzugreifen dadurch VERSTÄRKT, dass ein Welpe kämpft oder angreift.
Nicht genug damit. Liest man beispielsweise über die beim Schutzhund entwickelten Eigenschaften nach, stößt man (neben den erwarteten Hinweisen auf "Kampfkraft" und "Schutztrieb") auf Ausführungen über die "Beißtechnik". Bei dieser wird hervorgehoben, dass "der ruhige, volle und feste Anbiß und Griff" erstrebenswert ist. Für den, der sich nicht so recht vorstellen kann, dass es auch beim Beißen bereits große Unterschiede geben soll, wird auch erklärt, worauf man dabei sein Augenmerk zu richten hat: Der "feste Angriff oder Biß", resultiert aus dem "angeborenen Grunddruck der Kiefer(s) des Schutzhundes. Denn der Biß des Schutzhundes kann von Natur aus kräftig, mittel oder schwach sein"; in jedem Fall ist "aber der ererbte, gleichmäßig harte Anbiß die beste Vorraussetzung für die richtige Beißtechnik". Der Junghund entwickelt seine Beißtechnik "primär dadurch, dass der Helfer VON ANFANG AN den Beutetrieb und die Aggressivität des Schutzhundes optimal auslöst und mischt"...."Die ENTSCHEIDENDE Voraussetzung für die personenbezogene Angriffsübung ist, das....die RICHTIGE Beiß- und Sprungtechnik keine Probelem mehr verursacht".
Auch die Anleitungen, wie Züchter spielerisch seine Welpen auf ihr zukünftiges Schutzhundleben vorzubereiten hat, enthalten überwiegend Anweisungen, wie Beutetrieb und Aggressivität der Welpen optimal zu fördern sind. Das alles findet aber bereits VOR der Abgabe der Welpen, also in einem sehr frühen Alter statt. Wenn wir uns erinnern: Aggressives (Beute-) Verhalten entwickelt sich bei den Wildformen nur in den Gruppen des Typ 1 und Typ 2 sehr früh; übertragen auf Schutzhunde, wird bei diesen das Aggressiv- und Beuteverhalten bereits zu einem im Grunde unnatürlichen Zeitpunkt einseitig gefördert und weniger Wert auf das (viel wichtigere) Training von Beißhemmung und Unterordnung gelegt. Dass die Förderung wesensstarker Welpen weniger ihre Kampfkraft, sonder mehr ihre Gehirnentwicklung (Umwelterfahrung) und Organentwicklung (Belastbarkeit bei Stress) verbessern soll, wird wenig berücksichtigt.

Die Aggressitvität eines Hundes wird jedoch nachhaltig durch die SITUATION bestärtk.

...Umso erstaunlicher ist, dass dieses einzige, wirklich von ALLEN als unerläßlich bezeichnete Zuchtziel bis heute weitgehend nicht erreicht wurde (Ausmerzung von ängstlichen, wesenschwachen Hunden). Bei den vielen Diskussionen, bei denen es um die wichtigsten Charaktereigenschaften und die Prüfung der zur Zucht zu verwendeten Hunde geht, wird mir immer wieder bewußt, in wie vielfach mißverstandender Weise die in dem "Wesensgrundlagen" genannten Begriffe ausgelegt werden. Daher sollte man sich mehr auf ganz praxisbezogene Grundlagen stützen, die zwar u. a. auch den Gebrauchshund, nicht aber den Hund als Waffe in den Vordergrund stellen.
In der augenblicklichen Situation muss ohnehin ernsthaft gefragt werden, ob es nicht dringend geboten ist, für den "Sporthund" völlig andere Gesichtspunkte seiner Beurteilung, Zucht und Ausbildung zu erarbeiten. Kann man beim "Hundesport" die dort übliche "Mannarbeit" überhaupt für SINNVOLL und VERANTWORTBAR halten?
Denn sicherlich büßt der Hund, wenn er nicht auf den Mann dressiert wird, deshalb sein "gutes" Wesen nicht ein, WENN er eins hat. Ebenso sicher kann man aber auch einen weniger hervorragenden Hund durch gezieltes Training zu einer eindrucksvollen Leistung im "Schutzdienst" bringen; die Leistung, die von großer Bedeutung für die Zuchttauglichkeit der Hunde ist, wie gesagt, die Sache mit dem Wesen (bzw. dessen Testbarkeit) noch nie so ganz einfach war....

Dies zum Thema
Gruß Andrea
Thema: Soll ich mit meinem Rottweiler Schutzdienst machen?


 
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