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30.12.99 --
Lothar Schmidt
Re: Elektroreizgeräte pro und kontra
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Anja Wolf «Anja@Wolf.do.UUnet.de» schrieb in im Newsbeitrag:
MPG.12cca5921a9d0099898e2@PersonalNews.de.UU.net...
Hallo Anja und alle die sich über die Rechtslage noch nicht im klaren sind.
Ich habe hier mal das Rechtsgutachten von Dr. Stephan Kleinjohann über meine
OCR-Texterkennung laufen lassen.
Es kann sein das der eine oder andere Rechtschreibfehler noch im Text ist,
aber man kann den Sinn des Textes gut verstehen.
*** Das Elektroreizgerät im neuen Tierschutzrecht ***
Dr. Stephan Kleinjohann, Rechtsanwalt und Notar in Göttingen
Das Elektroreizgerät erhitzt die Gemüter. Diese Erfahrung habe ich
inzwischen in einer ganzen Reihe von Streitigkeiten in Hundevereinen
gemacht. Die Befürworter der Hundeausbildung mit Elektroreizgerät behaupten,
modernste Ausbildungsmethoden zu verwenden; die Gegner fürchten u.a. die
Schädigung des Ansehens der Vereine in der Öffentlichkeit.
Die Diskussionen werden teilweise, wie ich es selbst mehrfach erleben
durfte, unsachlich geführt. Ausbilder, die den Einsatz des
Elektroreizgerätes befürworten, werden mit Vereinsausschlussverfahren
bedroht, konstruktive Vorschläge zur optimierten Hundeausbildung habe ich in
diesem Zusammenhang selten gehört.
Am 01.06.1998 ist das neue Tierschutzgesetz in Kraft getreten. Verschiedene
Gegner des Elektroreizgerätes haben sofort betont, dass die Ausbildung mit
diesem Gerät nun 'endlich' der Vergangenheit angehöre : Das neue
Tierschutzgesetz verbiete diesen Einsatz gänzlich.
Dass dies Unsinn ist, ergibt sich bereits aus der Lektüre der einschlägigen
Bestimmungen des Tierschutzgesetzes (auch in der neuen Fassung). Um die
Diskussion zu versachlichen und den Blick für notwendige Differenzierungen
zu schärfen, habe ich ein ausführliches Rechtsgutachten zur Zulässigkeit der
Verwendung von 'Teletakt?Geräten' nach dem neuen Tierschutzgesetz verfasst.
Wunschgemäß will ich nunmehr die wesentlichen Zusammenhänge in diesem
Artikel darlegen.
Vorauszuschicken ist, dass es nach allgemeiner Meinung sowohl in der
Rechtsprechung als auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur nach dem
alten Tierschutzrecht kein grundsätzliches Verbot des Elektroreiz? gab.
Gegen Hundeführer eingeleitete Ordnungs? bzw. Strafverfahren wurden im
Wesentlichen eingestellt. Ein tierschutzwidriger Einsatz lag nur vor, wenn
von dem Elektroreiz
gerät im ungebührlichen Umfang Gebrauch gemacht wurde, also nicht die
Ausbildung, sondern die Schmerzzufügung im Vordergrund stand.
Klarzustellen ist, dass der inflationäre Gebrauch des Elektro? natürlich
auch gegen das neue Tierschutzgesetz verstößt. Wer einem Hund ? mit oder
ohne Elektroreizgerät ? aus Rohheit erhebliche Schmerzen oder Leiden oder
länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen zufügt, ist
nach § 17 TSchG (Tierschutzgesetz neuer Fassung) mit Freiheitsstrafe bis zu
drei Jahren oder mit Geldstrafe zu bestrafen.
Einschlägig sind § 3 Nr. lb, 5, 8a und 11 TSchG. Diese Vorschriften lauten:
'Es ist verboten ...
1.b) an einem Tier im Training oder bei sportlichen Wettkämpfen oder
ähnlichen Veranstaltungen, die mit erheblichen Schmerzen, Leiden oder
Schäden verbunden sind und die die Leistungsfähigkeit von Tieren
beeinflussen können, sowie an einem Tier bei sportlichen Wettkämpfen oder
ähnlichen Veranstaltungen Dopingmittel anzuwenden,
5.) ein Tier auszubilden oder zu trainieren, sofern damit erhebliche
Schmerzen, Leiden oder
Gegenstand meiner Ausführungen ist nur der verhältnismäßige (sachkundige)
Einsatz des Elektroreizgerätes, bei dein der Hundeführer seine Verantwortung
für das Wohlergehen des Tieres ständig im Auge hat.
Schäden für das Tier verbunden sind,
8.a) ein Tier zu einem derartig aggressiven Verhalten auszubilden oder
abzurichten, dass dieses Verhalten ...
a) bei ihm selbst zu Schmerzen, Leiden oder Schäden führt oder b) im Rahmen
jeglichen artgemäßen Kontaktes mit Artgenossen bei ihm selbst zu Schmerzen
oder vermeidbaren Schäden führt oder
e) seine Haltung nur unter Bedingungen zulässt die bei ihm zu Schmerzen oder
vermeidbaren Leiden oder Schäden führen,
11.) ein Gerät zu verwenden, dass durch direkte Stromeinwirkung das
artgemäße Verhalten eines Tieres, insbesondere seine Bewegung, erheblich
einschränkt oder es zur Bewegung zwingt und dem Tier dadurch nicht
unerhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügt, soweit dies nicht durch
bundes? oder landesrechtliche Vorschriften zulässig ist.'
Direkt angesprochen ist das Elektroreizgerät in § 3 Nr. 11 TSchG (mit der
Folge, dass ein verbotswidriger Einsatz als Ordnungswidrigkeit mit einem
(erheblichem) Bußgeld geahndet werden könnte. Nun verbietet die zitierte
Bestimmung den Einsatz des Elektroreizgerätes nicht generell, macht dies
vielmehr von folgenden vier Voraussetzungen abhängig. Nur wenn diese
Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind, ist der Einsatz des
Elektroreizgerätes verboten (und ordnungswidrig).
a.) Erste Voraussetzung des Verbotstatbestandes ist der Einsatz eines
Gerätes, welches den Körper des Tieres direkter elektrischer Energie
aussetzt. Diese Voraussetzung ist bei einem Elektroreizgerät immer erfüllt.
b.) Um verbotswidrig zu handeln, müsste das Elektroreizgerät ferner das
artgemäße Verhalten eines Tieres erheblich einschränken oder es zur Bewegung
zwingen. Diese Tatbestandsvoraussetzung ist bei verantwortungsbewusstern
Umgang mit dem Elektroreizgerät im Regelfall nicht gegeben.
Das Tierschutzgesetz (sowohl alter als auch neuer Fassung) will der
gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnis Rechnung tragen, dass das
Wohlbefinden des Tieres im Wesentlichen auf einem ungestörten, artgemäßen
und verhaltensgerechten Ablauf der Lebensvor gänge beruht. Nun kann der
Haus? und Jagdhund natürlich nicht tun, was er will: Erziehung als solche
kann also nicht artgemäßem Verhalten widersprechen, in Gemeinschaft mit
anderen Tieren und Menschen sind erzieherische Eingriffe oft Voraussetzungen
artgerechten Verhaltens.
Nun geht es bei der Verwendung des Elektroreizgerätes nicht darum, das Tier
von solchen Verhaltensweisen abzuhalten, sondern dem Erhalt oder der
Entwicklung der Physis oder der Psyche des Tieres dienen. Das kann auch gar
nicht dem Zweck des Tierschutzgesetzes entsprochen haben, zumal der
Gesetzgeber in § 2 TSchG die 'verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres'
gleich zweimal hervorgehoben hat.
(Jagd?)Hunde bedürfen in besonderer Weise der Bewegung. Gerade in der
Ermöglichung der weitestgehenden Bewegungsfreiheit des Tieres liegt einer
der Vorzüge des Elektroreizgerätes. Das Elektroreizgerät, mit welchem der
Hund an der Überquerung einer Straße gehindert wird, kann sein Leben retten.
Dem Tier wird letztlich seine Freiheit erhalten bzw. gesichert, eine
Beschränkung des artgemäßen Verhaltens kann in dem (verantwortungsbewussten)
Umgang mit dem Elektroreizgerät gerade nicht gesehen werden.
Solange das Elektroreizgerät artgerechtes Verhalten des Tieres fördert,
indem es die Erziehung des Tieres verbessert, ist die zweite Voraussetzung
von § 3 Nr. 11 TSchG nicht erfüllt; ein verbotswidriges Verhalten des
Hundeführers kann also nicht vorliegen.
c.) Dritte Voraussetzung des Verbotstatbestandes ist die Zufügung nicht
unerheblicher Schmerzen, Leiden oder Schäden. Das alte Tierschutzgesetz
hielt ? im Widerspruch hierzu (?) ? nur erhebliche Schmerzen etc. für
tatbestandsmäßig.
Diese Voraussetzung kann bei Verwendung des Elektroreizgerätes gegeben sein.
Es kommt darauf an, auf welcher Stufe das Gerät eingesetzt wird. Da die
heute gebräuchlichen Elektroreizgeräte so verwendet werden können, dass sie
lediglich die Auftmerksamkeit des Hundes bewirken (so z.B. ein Gutachten des
Bayerischen Landeskriminalamtes aus dem Jahre 1994), ist die Erfüllung der
dritten Voraussetzung des gesetzlichen Tatbestandes einzeifallabhängig (man
sieht es also auch hier: Die pauschale Verurteilung eines Hundeführers ist
niemals gerechtfertigt, eine vernünftige Diskussion kann nur
einzelfallbezogen und differenziert geführt werden).
d.) Schließlich erfordert die Erfüllung des gesetzlichen Tatbestandes ein
Das Tier muss erhebliche Schmerzen o.ä. durch die Beschränkung artgemäßen
Verhaltens mit dem Elektroreizgerät erlitten haben.
'Knackpunkt' der Beurteilung, ob das Verhalten eines Hundeführers gegen § 11
TSchG verstößt, wird im Regelfall die Frage bleiben, ob der Hundeführer mit
dem Elektroreizgerät das artgerechte Verhalten des Tieres einschränkt. Nur,
wenn diese Voraussetzung bejaht werden kann, kommt überhaupt
ordnungswidriges Verhalten in Betracht. Da der verantwortungsbewusste Umgang
mit dem Elektroreizgerät
die Möglichkeiten des Tieres zu artgemäßer Bewegung erweitern will ? und das
fordert § 2 Nr.2 TSchG vom Tierhalter (!) ? wird der verantwortungsbewusste
Umgang mit dem Elektroreizgerät niemals gegen § 3 Nr. 11 TSchG verstoßen
können.
§ 3 Nr. lb TSchG ist bei dem Einsatz von Elektroreizgeräten nicht relevant.
Der Gesetzgeber hat den Umgang mit diesen Geräten speziell in § 3 Nr. 11
TSchG geregelt.
§ 3 Nr.5 TSchG ist meines Erachtens aus den selben Gründen nicht
einschlägig. Man könnte Näheres wird von den Gerichten entschieden werden
müssen vielleicht einen 'Auffangtatbestand' konstruieren. Dann wäre § 3 Nr.5
TSchG verletzt, wenn dem Tier mit dem Elektroreizgerät erhebliche Schmerzen
zugefügt werden.
Dies entspricht der Wertung des Tierschutzgesetzes in der alten Fassung.
Insoweit habe ich aber bereits eingangs dieses Artikels festgestellt, dass
die Gerichte nach der entsprechenden Bestimmung nur den missbräuchlichen
Einsatz des Elektroreizgerätes sanktioniert haben, daran wird sich durch die
neue Gesetzeslage keinesfalls etwas ändern.
Schließlich ist § 3 Nr.8a TSchG zu berücksichtigen. Auch dieser Tatbestand
(dessen Wortlaut oben wiedergegeben ist) kann nur bei missbräuchlichem
Gebrauch des Elektroreizgerätes erfüllt sein, niemals jedoch bei
verantwortungsbewusstem Gebrauch.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass das neue Tierschutzgesetz kein
generelles Verbot des
Einsatzes des Elektroreizgerätes kennt. Wer gegenteiliges behauptet, weicht
einer sachbezogenen Diskussion aus.
Dieses Ergebnis wird im Übrigen aus der Geschichte des neuen
Tierschutzgesetzes deutlich. Sowohl in den Entwürfen der
SPDBundestagsfraktion als auch der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen waren
Sondervorschriften enthalten, die die Verwendung von Elektroreizgeräten
behandeln. Beide Entwürfen sahen weitgehende Verbote vor. Dies entsprach
nicht dem Regierungsvorschlag. § 3 Nr. 11 TSchG ist das Ergebnis eines
Vermittlungsverfahrens und damit ein Kornpromiss zwischen den
unterschiedlichen Vorstellungen der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten.
Von einem (grundsätzlichen) Verbot des Elektroreizgerätes wurde in der
Gesetzgebungsgeschichte bewusst Abstand genommen; dies auch mit guten
Gründen, weil der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit so nicht hätte beachtet
werden können.
Im Interesse aller diskutierenden Gruppierungen wäre es, dem
missbräuchlichem Einsatz des Elektroreizgerätes durch klare Regelungen
vorzubeugen. Ein Vorschlag, der absolut gesetzeskonform wäre, befürwortet
die Einführung eines Sachkundennachweises, eines 'Hundeführerscheins'.
Ich halte diesen Vorschlag für begrüßenswert: Klare Regelungen erhöhen die
Rechtssicherheit für alle Beteiligten und vermeiden Streitigkeiten.
Dr. Stephan Kleinjohann
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