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09.11.99 --
Anke Solbrig
Scheue Wölfe, aggressive Hunde
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Liebe NGler,
frisch aus der Süddeutschen Zeitung (Online-Version) von heute
kopiert, - für Laien interessant, für Spezialisten bestimmt
diskussionswürdig:
09.11.99 - SZ-Wissenschaft
Scheue Wölfe, aggressive Hunde
Menschen fürchten die Rückkehr des wilden Isegrim, doch zahme Vierbeiner
richten weitaus mehr Schaden an
Von Wiebke Rögener
Der Wolf hat, ob er nun Rotkäppchen respektive die sieben Geißlein
verspeist oder im Horrorfilm als Werwolf in Erscheinung tritt, einen
festen Platz in der Mythologie des Bösen. Versuche, dieses in Europa vom
Aussterben bedrohte Raubtier wieder einzubürgern, oder wenigstens dort,
wo er sich von selbst einfindet, nicht erneut auszurotten, werden von
Teilen der Öffentlichkeit daher misstrauisch beäugt. Eine Umfrage der
Gesellschaft zum Schutz der Wölfe ergab: Gut die Hälfte der Interviewten
unter 40 Jahren befürwortete zwar, dass Wölfe in Deutschland unter
Schutz stehen. Ältere sind noch skeptischer. Mehr als 40 Prozent aller
Befragten fürchten jedoch, die Untiere könnten bei einem Waldspaziergang
ihren Kindern gefährlich werden.
Der domestizierte Nachfahre des Wolfes dagegen gilt, ob nun Schoß- oder
Schutzhund, als des Menschen bester Freund. 'Tatsächlich werden aber
weltweit sehr viel mehr Menschen durch Hunde angegriffen und verletzt
als durch ihre wilden Vorfahren', so der Hundetrainer Günther Bloch
kürzlich auf dem ersten internationalen Symposium über Caniden - also
hundeartige Raubtiere - in Bergisch-Gladbach. Bloch berichtete über ein
'erschreckend hohes Aggressionspotential' vieler Hunde. Von 510
Haushalten mit Hund habe es in 382 Fällen Probleme durch
angriffslustiges Verhalten des Tieres gegeben, fasst Bloch eine Umfrage
unter Kollegen zusammen.
Allein etwa 3500 Briefträger werden jährlich von Hunden gebissen.
Kommunikationsprobleme zwischen Herrchen oder Frauchen und dem
geliebten, aber oft nicht verstandenen Vierbeiner, mangelnde Auslastung
der Tiere sowie völlig unangemessene Privilegien der Hunde im Haushalt
nannte Bloch als Ursachen für Aggressionen. Nicht selten führe das
unakzeptable Verhalten des Hundes den Besitzer in die soziale Isolation.
'Und dieser meint dann noch, die fernbleibenden Bekannten und Verwandten
seien Schuld, weil sie eben nichts von Hunden verstünden.'
Wie sich Hunde mit Menschen und untereinander verständigen, untersuchte
Dorit Feddersen-Petersen von der Universität Kiel. Sie ging der Frage
nach, ob Bellen eine eher unspezifische Lautäußerung ist, die allgemein
Aufgeregtheit widerspiegelt oder ein differenzierteres
Kommunikationsmittel. Die Verhaltensforscherin maß Frequenz und
Amplitude des Gebells und fand, je nach Rasse, zwei bis acht
unterschiedliche Laute, die sich Situationen wie Spiel, Erkundung,
Fürsorge oder Begrüßung zuordnen lassen. Wölfe zeigen viele dieser Laute
nur im Welpenalter. Die erwachsenen Wölfe, so Feddersen-Petersen,
verständigen sich vorwiegend durch Körpersprache und Mimik. Diese aber
sei bei vielen Hunderassen stark eingeschränkt: Eine zusammengedrückte
Schnauze, Hängeohren oder eine stets in kummervolle Falten gelegte Stirn
machten viele wolfstypische Signale unmöglich. Manche Hunderassen
könnten daher kein funktionierendes Sozialleben in Gruppen entwickeln.
Denn das Bellen ersetze die verlorene Zeichensprache zwischen
Artgenossen nicht. Was von manchem nur als lästige Kläfferei empfunden
werde, diene vor allem der Zwiesprache mit dem Menschen.
- Bello auf die Couch -
Mit Verständigung zwischen Herrn und Hund steht es dennoch nicht immer
zum Besten. Wo der Vierbeiner sich vom Arbeitsgefährten zum
Gesellschafter wandelt, wachsen die emotionalen Erwartungen an das Tier.
'Das führt dazu, dass Tiere es immer schwerer haben, ihr Leben mit dem
Menschen zu teilen', glaubt Peter Neville vom britischen Verband der
Verhaltenstherapeuten für Haustiere. Nervosität, Trennungsängste und
Aggressivität der Tiere nähmen zu und seien oft nur mit Hilfe von
Verhaltenstherapie und Psychopharmaka zu bewältigen.
Die Behauptung, die meisten Leute kämen gut zurecht mit ihren Hunden,
stimme einfach nicht, meint auch Günter Bloch. Nicht selten seien nicht
die Hunde, sondern die Hundehalter therapiebedürftig. Und 'mindestens 50
Prozent der Hunde passen nicht zu den Menschen, die sie haben.' Wer sich
etwa einen der gerade modernen großen Hirtenhunde zulege, rechne oft
nicht mit dessen ausgeprägtem Territorialverhalten.
Denn nicht für die Etagenwohnung oder zur Verschönerung des Vorgartens
wurden diese Rassen gezüchtet. Sie schützten Viehherden vor Raubtieren.
Anders als Hütehunde, die die Herden gemeinsam mit dem Hirten lenken,
leben die Schutzhunde vom Welpenalter an ständig mit den Schafen
zusammen und verteidigen die Herde. Könnten sie sich darüber Gedanken
machen, hielten sie sich womöglich selber für Schafe. Vielerorts
verzichteten die Viehhirten mit dem Rückgang der Wölfe auf die massigen
Schutzhunde. Doch seit Wölfe nicht mehr geschossen, vergiftet oder in
Fallen gefangen werden dürfen, nehmen in extensiv gehaltenen Schaf- oder
Ziegenherden die Verluste zu.
Daher bemühen sich neuerdings Ökologen, die alten Schutzhundrassen bei
Viehhaltern wieder populär zu machen. So gibt in Portugal das Nationale
Institut für landwirtschaftliche Forschung Welpen von Herdenschutzhunden
an Hirten ab. Das Projekt, über das der Ökologe Fernando
Petrucci-Fonseca von der Universität Lissabon berichtete, verfolgt zwei
Ziele: Es soll den gesetzlichen Schutz der vom Aussterben bedrohten
Wölfe für Viehzüchter akzeptabel machen. Gleichzeitig werden so auch
traditionelle Hunderassen, wie der Cao da Serra da Estrela oder der
Rafeiro do Alentejo erhalten.
Ob und in welcher Zahl in Deutschland Wölfe wild leben, ist unklar, so
der im Bayerischen Wald mit Wölfen arbeitende Erik Zimen. Denn die Tiere
sind ausgesprochen scheu. Undenkbar, dass Wölfe hier zu Lande
unmittelbar im Umkreis menschlicher Siedlungen vorkommen und bei der
Nahrungssuche urbane Gebiete durchstreifen, wie es Ovidiu Ionescu aus
dem rumänischen Brasov berichtete. Nur als Grenzgänger aus Tschechien
oder Polen sind Wölfe in der Bundesrepublik eindeutig nachgewiesen. Doch
Jäger schätzen die Konkurrenten nicht. Und so wird etwa ein im
Grenzgebiet zu Polen auftauchender Wolf schon mal 'aus Versehen'
erschossen.
- Fremdling verzweifelt gesucht -
In Westpolen, wo er bereits ausgestorben war, ist Isegrim inzwischen
wieder heimisch geworden. In den 50er Jahren gab es in ganz Polen
weniger als 100 Wölfe, legte Henryk Okarma von der Universität Krakau
dar. Erst 1997 wurde das seltene Raubtier dort völlig unter Schutz
gestellt. Doch illegale Jagd und Viruserkrankungen halten die Zahl der
Tiere weiterhin gering. In Schweden wo seit den 80er Jahren auch im
Süden des Landes wieder Wölfe leben, wächst die Population ebenfalls nur
langsam, berichtete Björn Ljunggren von der Swedish Carnivore
Association.
Ein Hauptproblem sind genetische Schäden durch Inzucht. Der
österreichische Genetiker Hellmuth Wachtel widersprach in seinem Vortrag
der Annahme, Paarungen unter nahen Verwandten seien bei Wölfen ohnehin
üblich und daher nicht Besorgnis erregend. Genetische Analysen zeigten,
dass unter natürlichen Bedingungen die Alpha-Paare, also die Leittiere,
meist nicht verwandt sind. Doch bei zu kleinen Gruppen und zerstückelten
Lebensräumen finden Wölfe nur noch schwer fremde Partner. Studien in
Zoos ergaben, dass die Tiere nach mehreren Inzucht-Generationen unter
ernsten genetischen Störungen leiden. Das könnte die hohen Verluste
durch Krankheiten erklären, da durch Defekte im Erbgut die Abwehrkräfte
sinken. Der Urahne aller bellenden Vierbeiner bleibt also gefährdet -
und weit weniger gefährlich als seine domestizierten Nachfahren.
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Mit Grüßen, Anke
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