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EIN WEIHNACHTSTRAUM
Auf Klein-Martin`s Nachttisch lag ein Zettel,dem man unschwer ansah,wie ernsthaft man sich bereits damit beschäftigt hatte.In schiefen,mit Anstrengung gemalten Buchstaben standen dort die Worte:
"Unt ich wünnsche mia ain HUNT oda aine KAZE!!!"
Es knisterte leise,als Nikolaus den Kopf schüttelte.Das hatte er lange nicht mehr getan.Klein-Martin merkte nichts davon;er schlief!
Offenbar gibt es nicht nur auf Erden eine Menge Bürokratie und diplomatischen Nachrichtenverkehr,denn noch in dieser Nacht wurde eine Nachricht in die Tiefen des Himmels gesandt,deren Inhalt sich kaum anders las,als ein politisches Memorandum.
"An Christkind!"
Betreffend zunehmende Kinderwünsche nach Haustieren,speziell Hunden und Katzen.Habe größte Bedenken bezüglich Erfüllung solcher Wünsche.Begründung:Erwachsene haben größte Mühe mit der Erziehung ihrer Kinder.Mit der Pflege und Zuwendung,die ein Haustier braucht,sind viele
überfordert.Daraus entstehen Härte und Vernachlässigung,die sich über die Tiere auch auf die Kinder mitteilt.Resultat:Verständnislosigkeit und unnötiges Leiden.Empfehle dringend belehrende Aktion.
Gruß
Sankt Nikolaus
Ein lautes Seufzen durchdrang den Himmel und tat kund,daß die Nachricht angekommen war.Doch dann schien es,als würden die Sterne mit einem Male heller leuchten als zuvor.Das Strahlen eines jeden Sternes war genau ausgerichtet,und wären die Menschen in jener Nacht wach gewesen,so hätten sie zu ihrem maßlosen Erstaunen jeder nur einen einzigen Stern erblickt.Die Schläfer spürten zunächst nichts von der Beeinflußung,der sie ausgesetzt waren-aber am nächsten Tag sollten sie sich wohl erinnern.
Klein-Martin sah seine Mutter,die sich um den Haushalt kümmerte.Er sah sich selbst daneben mit seinen Autos spielen.Ein Hund lag neben ihm und zerkaute einen Schuh.Eine Katze strich um Mutters Beine.Sie stolperte über die Katze und fiel auf den Hund.Sie tat sich dabei weh und in ihrem Schmerz gab sie dem Hund einen Klaps.Klein-Martin weinte und schlug seinerseits die Katze,weil diese an dem ganzen Unheil schuld war.Da kam Vater heim und entdeckte seinen zerfetzten Schuh.Der Hund bekam nochmals einen Klaps und wurde in den Garten geschickt.Draußen war es kalt.Es regnete.Klein-Martin weinte.Und in wenigen Tagen sollte Weihnachten sein!
Plötzlich war es Weihnachten!In aller Augen malte sich großes Erstaunen,ja manchen Orts Entsetzen.Alles fühlte sich anders an.Klein-Martin wollte nach seiner Mutter rufen,doch es kam nur ein klägliches"Miau"zustande.Ein helles"Wauwau"antwortete,und er wußte,daß dies seine Mutter war.Da ging die Tür auf und der Hund kam herein.Er lief auf den Hinterbeinen,schüttelte den nassen Pelz und warf ihn von sich,wie einen Mantel.Klein-Martin`s Vater,der nun seinerseits aussah wie ein ungepflegter Hund,kam auf allen vieren herbeigetrottet,wurde aber vom Hund achtlos beiseitegeschoben.In der Pose des Menschen ging der Hund an den Kühlschrank,wählte die leckersten Dinge für sich aus und würdigte die Familie keines Blickes.Mutter`s "Wauwau"klang entsetzt,als die Kellertüre aufging und die Katze in der Statur eines Menschenfräuleins heraufkam.Sie setzte sich zum Hund und teilte eine Fischbüchse mit ihm.Vater wollte heftig eingreifen und stürzte sich bellend auf den "Hund",doch dieser versetzte ihm einen Tritt.
Jedermann weiß,daß die "himmlischen Minuten" sich auf Erden endlos dehnen können.So erhielten alle Wesen dieser verdrehten Welt ausreichend Gelegenheit,die Lebensumstände derer kennenzulernen,mit denen sie zu hart,streng und achtlos umgegangen waren.Gar mancher Hundetrainer bekam die elektrische Rute zu spüren,während die heisere stimme eines Dobermann`s ihn anhielt "bei Fuß" zu bleiben,denn "SONST...!" Manches Herrchen sah sich endlose Stunden in eine Kammer gesperrt,zermartert vom Wissen über die Qualen,die ihn erwarteten,wenn er naß machte.Wieviele Frauchen bekamen Hiebe,als sie zu verhindern suchten,daß ihre nunmehr zweibeinigen Tiere sich an den prallen Einkaufstüten gütlich taten!
Es schien,als erfülle ein großes Seufzen die Welt.Ganz langsam verlosch der überstarke Glanz der Sterne,und Stille senkte sich über die Erde.Als die Dämmerung heraufzog,schien es,als würde das Geschiebe und Getriebe der Menschen nur langsam in Gang kommen wollen.
Klein-Martin erwachte und er fühlte sich noch kleiner als er je gewesen war.Er nahm seinen Wunschzettel und lief zu seiner Mutter,zu der er sofort unter die Bettdecke kroch."Ich habe so schlecht geträumt,"klagte er.Die Mutter streichelte seinen Kopf und gab zu:"Ja-ich auch." Überall sprach man über seltsame Träume,die man gehabt hatte.In manchen Häusern wurden ganz neue Wunschzettel geschrieben,in anderen wurde die Hausordnung völlig umgestellt,und es schien,als ginge es den Haustieren überall um einiges besser.
Wie lange mochte das wohl anhalten...?
Klein-Martin schrieb keinen neuen Wunschzettel.Er setzte nur einige Worte hinzu:"Unt ich wünnsche mia ain HUNT oda aine KAZE tsum ganz LIEBHAHM!!!"
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