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17.10.99 --
Gaby Tischler
Re: Kampfhunde - aggressiv geboren? (vorsicht lang!)
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Liebe Jutta, Du hast geschrieben, kein Hund würde aggressiv geboren.
Ich gebe Dir insofern recht, daß es nun wirklich nicht auf die Rasse ankommt,
aber es gibt in jeder Polulation Ausnahmen.
Eine Geschichte dazu:
Vor Jahren bin ich zu meinen ersten Hund gekommen wie die Jungfrau zum Kinde:
Mein damaliger Freund wollte unbedingt einen Hund, Freunde von ihm hatten noch
zwei Welpen ohne Papiere, vier Monate alt - Mutter aus Tierheim, Vater Wachhund
und recht aggressiv (es handelte sich übrigens um Schäferhunde)...Wir nahmen
den kleinen Rüden....
Jimmy kannte keinen Ball, keine Leine, auf jeden Hund ging er los, was da ja
noch recht harmlos war...Irgendwann kümmerte sich mein Ex nicht mehr um ihn,
war ja alles mit Arbeit verbunden...
Ich also Fachliteratur gekauft, dem jungen Hund möglichst viel Kontakt mit
Artgenossen verschafft, wobei ich auch Beschimpfungen in Kauf genommen habe,
weil Jimmy ständig Streit angefangen hat...Dann habe ich ihn mit einen
Alpharüden zusammengesteckt, der ihn gar nicht erst ernstgenommen hat, eine
Flexileine gekauft und Jimmy voll in die Leine rennen lassen, wenn er wieder
mit Mordgelüsten auf einen Artgenossen losgehen wollte (die Narbe an meinem
Knie sieht man heute noch) und schließlich, nachdem bereits ein Dackel, eine
Schnauzermixhündin und ein Westie wegen Jimmy ein Fall für den Tierarzt waren,
bin ich auf einen Hundeplatz gegangen....
Jimmy lernte....An der Leine benahm er sich inzwischen, auf dem Hundeplatz
auch, seine Aggressionen wurden nach erfolgreicher Begleithundeprüfung behutsam
auf Spielereien mit Säcken, auf Fährten etc umgelenkt...
Er war immer noch tagsüber mit seinem Vater auf dem Hof eines Holzgroßhandels
zusammen, bei dem ich arbeitete....Dann der Kampf mit seinem Vater - nicht nur
Rüden-üblich, sondern bitterer Ernst...Ich ging dazwischen, kriegte was
ab.....Aber Jimmy kam einigermaßen heil da raus....Von da an konnten die zwei
sich nicht mehr leiden und wurden getrennt, nur sehen konnten sie sich noch....
Eines Morgens, ein Sonntag....Ich will mit Jimmy zum Hundeverein, gehe noch
eine Runde durch den Wald....Plötzlich spitzt er die Ohren, rennt los - das
Halsband reißt (Stachelhalsband klinkte auseinander)....Er rennt um die Kurve,
Kampflärm dringt zu mir, ich renne los und höre markerschütternde
Schreie....Die Szene werde ich nie vergessen:
Eine Huskyhündin liegt auf der Erde, Seite und Bauch aufgerissen, zwei alte
Damen völlig fertig, mein Hund liegt zwei Meter entfernt im 'Platz'....
Lange Rede, kurzer Sinn: Die Hündin hat überlebt, ich habe Jimmy einschläfern
lassen...
Bevor hier ein Aufschrei durch die Menge geht: Dieser Hund ist am gleichen Tag
noch auf mich losgegangen, weil er mit seinem Vater auch noch Stunk anfangen
wollte - auf mein scharfes 'Pui' reagierte er, indem er mich ansprang....
Jimmy ist zwei Jahre alt geworden und ich habe wirklich alles versucht, ihn zu
sozialisieren....Aber er knurrte auch Kinder an, mit denen er einige Monate
vorher noch spielte - eigentlich gibt es noch so vieles, was bedenklich war...
Alles, was ich noch hätte tun können, wäre Maulkorb, Leine, Tacker oder
angespitzter Stachel....Aber auch diese Dinge können mal versagen und was für
ein Leben hätte Jimmy gehabt?
Abgeben? Was ist, wenn er beim neuen Besitzer ein Kind anfällt?
Ich habe mir lange noch Vorwürfe gemacht....Aber nach einigen Wochen habe ich
über den Hundeverein einen neuen Hund bekommen - Vater bekannt, Mutter bekannt,
Züchter bekannt, mit fünf Wochen ausgesucht und mit 7 1/2 Wochen zog Dux bei
mir ein....Oft wurde er noch mit seinem Vorgänger verglichen, ich war ängstlich
darauf bedacht, daß Dux möglichst viel mit Hunden Kontakt hat, obwohl er da
auch hat einstecken müssen....
Dieser Hund ist absolut perfekt...Na gut, schlecht hören kann er auch und jeder
hat seine Macken, aber er ist nicht im geringsten aggressiv, verträgt sich mit
Artgenossen und Menschen, ist im Schutzhundesport aktiv und mit Freude bei der
Sache, liebt sogar Katzen und ist überhaupt super gutmütig...Und wenn er mal
'stiften' geht, weil da ein Karnickel ist oder ein Hund oder sonstwas, kann ich
immer sicher sein, daß nichts passieren wird....
Ist hier einer von euch, der jetzt sagt, das es meine Schuld war, weil Jimmy so
wurde, wie er war? Warum ist Dux dann nicht genauso, obwohl ich ihn jünger
bekommen habe, also früher einwirken konnte?
Ich glaube, daß sich eine gewisse Aggressivität vererben kann...Dazu kam, daß
ich nicht weiß, was Jimmy in den ersten vier Monaten seines Lebens gelernt hat,
was ihn geprägt hat....
Aus diesem Grund kommen für mich auch keine Hunde aus zweiter Hand mehr in
Frage....Diese Erfahrung reicht mir und ich könnte es nicht ertragen, mich noch
einmal so schuldig zu fühlen wie damals beim Tierarzt...
Gleichgültig, was passiert war, ich fühlte und fühle mich immer noch wie ein
Verräter Jimmy gegenüber, aber ich tröste mich immer noch mit der Gewißheit,
daß Jimmy wenigstens ein gutes, wenn auch kurzes Leben hatte und er die
erwähnten Foltermethoden nie kennengelernt hat...Er hat nicht gewußt, daß das,
was er machte, einfach falsch war...Ich habe es ihm einfach nicht begreiflich
machen können...Und keiner konnte mir sagen, ob er es jemals verstanden
hätte....
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