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11.11.00 -- Gina

Tierärztekammer














Hamburg, den 18.10.00

Offener Brief zur Hundeverordnung
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Sehr geehrte Frau Senatorin Roth,

die Tieraerztekammer Hamburg wurde zwar in die Vorgespraeche
zur Hundeverordnung involviert, nach dem tragischen
Todesfall in Wilhelmsburg sind wir jedoch zu unserem
Bedauern nicht weiter eingebunden worden.

Sachliche Argumente haetten waehrend der emotionalen
oeffentlichen Diskussion kaum Gehoer gefunden. Daher hat sich
die Tieraerztekammer Hamburg mit entsprechenden Aeusserungen
zurueckgehalten. Da die Hundeverordnung seit drei Monaten
durch Ihre Behoerden angewendet und umgesetzt wird, moechten
wir jetzt dazu wie folgt Stellung nehmen.

Die Mitglieder der Tieraerztekammer sind kompetente
Sachverstaendige in allen Fragen, die Hunde und deren Haltung
betreffen, daher muss auf der Basis dieses Fachwissens die
momentane Verordnung und ihre Durchfuehrung von uns
kommentiert werden:

1. eine Gefahrenabwehr ist im Interesse aller Tieraerzte,
denn von Hunden kann Gefahr ausgehen, Rassekataloge
sind aus wissenschaftlichen Gruenden jedoch abzulehnen

2. Aggressionsverhalten gehoert zum normalen Verhalten jedes
Hundes, eine Beisshemmung muss von jedem Hund erlernt
werden

3. Sachkundenachweis ("Hundefuehrerschein") fuer alle
Hundehalter gefordert

4. es gibt keine wissenschaftlich anerkannte Moeglichkeit,
die Zugehoerigkeit eines Hundes zu einer Rasse zu
bestimmen

5. das Tierschutzgesetz untersagt die Euthanasie eines
Hundes aufgrund seiner Rassezugehoerigkeit

6. der Maulkorb behindert die artgemaesse Kommunikation von
Hunden

7. Beurteilung des berechtigten Interesses der Hundehalter
durch die Behoerden

8. es fehlen Uebergangs- bzw. Bestandsschutzregelungen fuer
Hundehalter



Ad 1. Gefahrenabwehr, Rassekataloge

Eine Gefahrenabwehr fuer die Bevoelkerung ist in unser aller
Interesse. Das Hamburgische Tieraerztegesetz sieht hier ein
Aufgabengebiet fuer Tieraerzte vor. Es trifft zu, dass von der
Hundehaltung generell ein Gefahrenportential ausgehen kann.
Rassekataloge (und die daraus abgeleiteten Konsequenzen) als
primaere Basis der Gefahrenabwehr aber muessen wir unter
sachlich-fachlichen und wissenschaftlichen Aspekten
ablehnen.

Rassekataloge entbehren sowohl biologisch als auch
statistisch jeder wissenschaftlichen Grundlage. Es gibt
keine Untersuchungen, die hier auch nur im Ansatz
rechtfertigen, einige Hunderassen als "gefaehrlich" und
andere als "ungefaehrlich" einzuordnen.

In der Anlage befinden sich
1.. eine aktuelle wissenschaftliche Veroeffentlichung aus
den USA im Original und in deutscher Uebersetzung,
in der zusammengefasst wird, dass Rassekataloge keinen
Nutzen hinsichtlich der Gefahrenabwehr bringen und
die sinnvolle Alternativen aufweist.

2.. die deutsche Uebersetzung eines Positionspapiers
der Vereinigung der Tieraerzte Europas zur
Hundeproblematik, mit Loesungsvorschlaegen zur
Gefahrenabwehr.


Ad 2. Aggressionsverhalten, Beisshemmung

Aggressionsverhalten gehoert zum normalen
Verhaltensrepertoire eines jeden Hundes, unabhaengig von
Gewicht oder Groesse.

Ein Hund beginnt im Alter von 4 Wochen Elemente von
aggressivem Verhalten zu zeigen. Hunde, bei denen keinerlei
Elemente des Aggressionsverhaltens vorkommen, gibt es nicht.

Wenn man Rassekataloge damit rechtfertigen wollte, dass
Groesse, Gewicht oder Beisskraft entscheidend fuer die
"Gefaehrlichkeit" einer Rasse sind, dann fehlen im
Rassekatalog der Hamburger Hundeverordnung viele Rassen,
unter anderem Rottweiler und der Deutsche Schaeferhund.

Die vielzitierten "zwei Tonnen" Beisskraft, die "Kampfhunde"
angeblich auszeichnen, stellen eine Anekdote dar. Es ist
moeglich, fuer verschiedene Tierarten theoretisch zu
berechnen, welchen Druck die Muskelmasse des Kiefers ausueben
kann. In diese Berechnung muessten jedoch weitaus mehr
physikalische und physiologische Parameter einfliessen, so
dass eine einzige Zahl (in Tonnen) nicht glaubhaft ist.

Hinsichtlich der Gefaehrlichkeit ist auf die Beisshemmung (die
von jedem Hund erlernt werden muss und nicht angeboren ist!),
die Stress- und Frustrationstoleranz sowie des antrainierten
Verhalten von Hunden hinzuweisen. Immer ist es der Mensch,
der massgeblich das Verhalten seines Hundes formt. Diesem
Einfluss des Halters/Besitzers/Trainers wird in der neuen
Hundeverordnung zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.


Ad 3. Sachkundenachweis

Die Tieraerztekammer haette es begruesst, wenn ein genereller
Sachkundenachweis ("Hundefuehrerschein") fuer alle Hundehalter
festgelegt worden waere.

Halter, die Hunden kein artgerechtes und tierschutzgerechtes
Leben ermoeglichen und Hunde so halten, dass daraus eine
Gefaehrdung der Oeffentlichkeit entstehen kann, sollten
unabhaengig von der Hunderasse mit einem Haltungsverbot
belegt werden.


Ad 3. Rassebestimmung

Es gibt keine Gentests zur Rassebestimmung. Die
verschiedenen Hunderassen sind Sammlungen von phaenotypisch
(aeusserlich) sehr aehnlichen Hunden. Auf die sogenannten
"Rassestandards" haben sich Menschen geeinigt, indem sie
sich in Vereinen zusammengeschlossen haben, aeusserliche
Merkmale fuer bestimmte Rassen festlegten und bestimmte
Linien miteinander kreuzten.

Es gibt jedoch keine wissenschaftlichen Methoden, durch die
ein Rassehundverein einem individuellen Hundehalter
nachweisen koennte, dass dessen individueller Hund ein
Exemplar einer bestimmten Rasse ist.

Der Rassehundverband kann sich weigern, ein individuelles
Tier aufgrund phaenotypischer Merkmale anzuerkennen. Dies ist
aber keine wissenschaftlich abgesicherte
Rassebestimmung und der entsprechende Hundehalter koennte
seinen individuellen Hund nach wie vor als Hund dieser
bestimmten Rasse ausgeben.


Ad 4. Tierschutz

Die Tieraerztekammer ist aeusserst besorgt in der Durchfuehrung
der Hundeverordnung im Benehmen mit dem Tierschutzgesetz
(TschG).

Tieraerzte haben schon immer Hunde bei tatsaechlicher Gefahr
im Verzuge euthanasiert. Denn Menschenschutz hat Vorrang vor
Tierschutz - aber in den Grenzen, die das Tierschutzgesetz
vorgibt, denn nach §17 (1) TschG macht sich strafbar, wer
ein Wirbeltier ohne vernuenftigen Grund toetet. Die momentane
Hundeverordnung schafft aufgrund der Rassekataloge Fakten
fuer die Euthanasie, die unserer Ansicht nach nicht mit dem
Tierschutzgesetz vereinbar sind.

Die Gefahrenabwehr ist durchaus ein vernuenftiger Grund, wenn
dies fuer jedes Tier individuell durch Diagnosestellung
bewiesen ist. Es kann nicht sein, dass ein Hund
euthanasiert wird, nur weil er einer bestimmten Rasse
angehoert. Hierin sehen wir tatsaechlich einen Verstoss gegen
das TschG.

Nach § 16a (2) TschG muss bei der Entscheidung zur Euthanasie
auch bewertet werden, ob und wie weit eine sichere Haltung
moeglich waere, ohne die Bevoelkerung zu gefaehrden.

Die Unterbringung von Tieren durch die oeffentliche Hand
setzt das TschG nicht ausser Kraft, insbesondere gilt § 2
TschG: wer ein Tier haelt, betreut oder zu betreuen hat, muss

1.. das Tier seiner Art und seinen Beduerfnissen
entsprechend angemessen ernaehren, pflegen und
verhaltensgerecht unterbringen,
2.. darf die Moeglichkeiten des Tieres zur artgemaessen
Bewegung nicht so einschraenken, dass ihm Schmerzen oder
vermeidbare Leiden oder Schaeden zugefuegt werden,
3.. muss ueber die fuer eine angemessenen Ernaehrung,
Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des
Tieres erforderlichen Kenntnisse und Faehigkeiten
verfuegen.

Unterbringen bedeutet daher nicht einfach wegschliessen!
Verhaltensauffaelligkeiten von zwangsuntergebrachten Tieren
koennen auf den Verdacht eines Verstosses gegen § 2 TschG
hinweisen.


Ad 5. Maulkorbbefreiung

Das permanente Tragen des Maulkorbes behindert die artgemaesse
Kommunikation und das Explorationsverhalten von Hunden
erheblich und kann in seiner Prolongation zu
Verhaltensstoerungen fuehren, die sich in gesteigertem
Aggressionsverhalten aeussern kann. Urspruenglich sozial und
kommunikativ kompetente Hunde koennen so zu einer realen
Gefahr werden. Daher wuerden wir es begruessen, wenn auch die
Hunde der ersten Kategorie von dem Zwang zum Maulkorb
befreit werden, sobald ein entsprechendes Gutachten
vorliegt.

Auch abgegebene und/oder aufgegriffene Hunde aus den
Tierschutzvereinen der Stadt sollten mit bestandenem
Wesenstest an neue Halter vermittelt werden koennen.


Ad 6. Beurteilung des berechtigten Interesses

Hundehalter, die einen Hund der ersten Kategorie weiter
halten moechten, muessen ihr "berechtigtes Interesse" zur
Haltung nachweisen. Ein Hamburger Wirtschafts- und
Ordnungsamt hat einer Besitzerin ihr berechtigtes Interesse
abgelehnt, mit der Begruendung, dass der Hund erst seit 3
Jahren bei der Besitzerin lebt und in diesem Zeitraum noch
nicht von einer starken Bindung zwischen Hund und Halterin
auszugehen ist.

Bereits innerhalb von wenigen Wochen koennen Hunde eine
starke Bindung zum Menschen herausgebildet haben und diesen
Menschen als wichtigen (unter Umstaenden den wichtigsten)
Sozialpartner ansehen. Umgekehrt wird von Wissenschaftlern
die Bindung zwischen Hund und Mensch durchaus auf der
gleichen Ebene gesehen wie die zwischen Menschen.
Relevante Literatur benennen wir Ihnen zu diesem Thema gern.


Ad 7. Uebergangs- bzw. Bestandsschutzregelungen fuer
Hundehalter

Bei Einfuehrung der Bayrischen Hundeverordnung gab es eine
Uebergangs- bzw. Bestandsschutzregelung fuer Hundehalter. Nach
erbrachter Negativbescheinigung musste so kein Hund
euthanasiert oder enteignet werden.

Sehr geehrte Frau Senatorin Roth, dies ist unser Beitrag zur
oeffentlichen Diskussion vor dem Hintergrund unserer
Fachkenntnisse und als Tierschuetzer von Berufs wegen.

Mit freundlichen Gruessen


Dr.med.vet. Barbara Schoening
Dr.med.vet. Dagmar Vogel

Praesidentin
Ausschuss fuer Oeffentlichkeitsarbeit

Thema: Gedanken . . .


 
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